1. Eine Versicherte trifft keine Pflicht zur Kostensenkung in Form eines Wohnungswechsels, solange sie krankheitsbedingt unfähig ist, an dazu erforderlichen Wohnungsbesichtigungen teilzunehmen.

2. Ist die Verpflichtung des Sozialhilfeträgers zur Übernahme abstrakt unangemessener Unterkunftskosten auf die bei einem Wohnungsnutzer krankheitsbedingt fehlende Fähigkeit zur Anmietung einer günstigeren Wohnung zurückzuführen, rechtfertigt dies eine Ausnahme vom Kopfteilprinzip.

3. Der Anwendung von § 35 Abs. 2 S. 2 SGB XII (aF) steht nicht entgegen, dass diese Bestimmung grundsätzlich voraussetzt, dass der Leistungsberechtigte die unangemessen teure Wohnung bei Eintritt der Hilfebedürftigkeit bereits bewohnt hat. (Redaktionelle Leitsätze)

 

Die klagende Versicherte leidet unter einer chronifizierten therapieresistenten Zwangsneurose mit depressiven Phasen und Halluzinationen. Im streitgegenständlichen Zeitraum lebte sie gemeinsam mit ihrer Tochter in einer Mietwohnung.

Aufgrund gravierender Mängel der Mietsache stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf Zustimmung zu einem Umzug in eine andere Wohnung. Zwar bestätigte die Beklagte grundsätzlich die Erforderlichkeit des Umzuges, lehnte die Übernahme der Mietkosten aber wegen der ihrer Ansicht nach unangemessen hohen Kosten der neuen Wohnung dennoch ab.

Die Klägerin zog dennoch in eine neue, volständig sanierte Wohnung um und teilte dies der Beklagten einige Monate später mit. Ab diesem Zeitpunkt bewilligte die Beklagte Leistungen nach dem SGB XII nur noch unter Berücksichtigung des hälftigen Anteils an den von ihr für angemessen gehaltenen Unterkunftskosten.

Das Sozialgericht wies die hiergegen gerichtet Klage mit der Brgündung ab, die Klägerin habe nur einen Anspruch auf Übernahme angemessener Unterkunftskosten, da die Beklagte dem Umzug nicht zugestimmt habe. Es stünden renovierte Wohnungen in ausreichender Anzahl zur Verfügung. Darüber hinaus könne die Klägerin von der Beklagten die erforderliche Unterstützung für notwendige Einzugsrenovierungen, z.B. mit einer gesamten Desinfektion, erhalten. Die Klägerin habe zudem durch ihren letzten Umzug gezeigt, dass ihr ein solcher grundsätzlich zumutbar sei.

Die gegen das Urteil des Sozialgerichts eingelegte Berufung sah das LSG als zulässig und begründet an. Die Klägerin habe Anspruch auf Übernahme ihrer tatsächlichen Unterkunftskosten. Der Anspruch der Klägerin ergebe sich aus § 35 Abs. 2 S. 1 u. 2 SGB XII aF. Danach sind die Aufwendungen für die Unterkunft auch dann als Bedarf anzuerkennen, wenn sie den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, wenn und solange es der betroffenen Person aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich ist, durch einen Wohnungswechsel die Aufwendungen zu senken. Der Anspruch sei in der Regel auf 6 Minate begrenzt. Eine Pflicht zur Kostensenkung treffe die Klägerin nicht, da sie aufgrund ihrer Erkrankung aktuell zur Anmietung einer anderen Wohnung nicht in der Lage sei. Die Klägerin sei krankheitsbedingt nicht in der Lage, Wohnungsbesichtigungen durchzuführen. Diese seien aber zwingende Voraussetzung für eine Wohnungsanmietung, da sie auch dazu dienten, dem Vermieter die Möglichkeit zu geben, sich ein Bild von den Wohnungsinteressenten zu machen. Hierfür das persönliche Erscheinen erforderlich. Diese Umstände waren für die Beklagte auch ersichtlich. Gleichwohl bot sie der Klägerin keine Unterstützung bei der Wohnungssuche an.

Der Anwendung des § 35 Abs. 2 S. 2 (jetzt Abs. 3 S. 2) SGB XII stehe auch nicht entgegen, dass dieser grundsätzlich voraussetze, dass der Leistungsberechtigte die unangemessen teure Wohnung bei Eintritt der Hilfebedürftigkeit bereits bewohnt. Die Unterkunftskosten zu senken sei der Klägerin nicht möglich. Soweit also die Verpflichtung des Sozialhilfeträgers zur Übernahme unangemessener Unterkunftskosten auf die krankheitsbedingt fehlende Fähigkeit der Klägerin zur Anmietung einer neuen Wohnung zurückzuführen sei, könnten diese als Mehrbedarf nur ihr zugeordnet werden. Dies rechtfertige eine Ausnahme vom Kopfteilprinzip.

Quelle: NZS 3/2024, S. 111